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Abba ist nicht Daddy

28.08.2023

„Darf ich Dir ‚Daddy“ sagen?“

Gott hat viele Namen. Die einen wurden ihm von Menschen gegeben, andere beschreiben seine Art, seinen Charakter. Und er hat seinen Namen seinem Volk durch Mose offenbart. Aber kein einziger davon ist eine Verniedlichung seiner Grösse, Heiligkeit und Allmacht, kein einziger als intime Anrede durch Menschen gedacht. Seit den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts  nun geistert eine Anrede Gottes durch die Christenheit, die genau das ist: intim und verniedlichend: Daddy.

Dad/Daddy kommt aus dem Englischen und ist wie das deutsche Papa/Papi ein Lallwort, also ein Wort aus Vokabeln, das für ein Kleinkind leicht auszusprechen ist, und wird von diesen als Anrede für den Vater gebraucht, wobei Daddy die Verniedlichung, bzw. das Kosewort darstellt. Woher kommt es nun, dass gläubige Menschen diese (klein-)kindliche Anrede gebrauchen, besonders im Gebet und im Lobpreis, und dass sie auch Eintritt fand in die „christliche Popkultur“ (Musik, Schriften, Bücher…)?

Aufgekommen ist dies wahrscheinlich in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Ein deutscher Theologe namens Joachim Jeremias veröffentlichte seine These zum Ursprung von ἀββᾶ in diesen Jahren in mehreren Veröffentlichungen vor (siehe Seitenende). Jeremias wuchs zum Teil in Jerusalem auf, wo er die Umgangssprache der Kinder und Jugendlichen lernte und aufnahm. Auf der Strasse hörte er, wie die Kinder ἀββᾶ als Ansprache an ihre Väter brauchten. Dies floss später in seine Studien zu den Gebeten Jesu und da im Speziellen zu Jesu Gebet im Gethsemane (Mk 14,36) ein. Er argumentierte, dass Jesu Gebrauch von ἀββᾶ etwas Originelles, im Judentum nie Gesehenes sei, und vor allem sei es (gemäss dem, was er in Jerusalem beobachtete) eine intime Anrede eines Kindes an den Vater - also so etwas wie Papi oder Daddy. Er war mit diesem Gedankengang aber nicht der Erste oder Einzige. Diese Idee wurde natürlich zu dieser Zeit (alles war im Aufbruch) begeistert von Studenten und Predigern gleichermassen aufgenommen.

Das Problem dabei ist, dass ἀββᾶ weder von Jesus „erfunden“ wurde, noch bedeutet es Daddy. ἀββᾶ ist die allgemeine Form für „Vater“ im Aramäischen, genauso wie im Hebräischen. Wir finden diese Form im AT nur in Dan 5 (Dan 5:2.11.13.18), dem aramäischen Teil des Buches. Bei jedem Vers handelt es sich dabei um einen Bezug zu Belshazzars Vater Nebukadnezar. Dieser Gebrauch folgt der gleichen Linie wie die hebr. Form, nämlich einen Bezug an einen Vorfahren oder Vorgänger. Zudem ist ἀββᾶ  nicht nur ein Wort, das nur von (Klein-) Kindern benutzt wurde, auch Erwachsene sprachen ihren Vater so an. Es gab bei den Kindern kein eigenes Wort im Sinne von ‚Daddy/Papi‘. Hinzu kommt, dass sich die Philologen einig sind, dass sich Worterklärungen (Herkunft, Entstehung, Veränderung) nicht auf Lallwort-Theorien stützen sollten. Ich habe unten eine Datei zum Download verlinkt, für jeden, der mehr über die Philologie des Wortes ἀββᾶ wissen will.

Im NT finden wir ἀββᾶ aber nicht nur bei Jesus (Mk 14,36), auch Paulus verwendete es, und zwar in seinen Briefen an die Galater und an die Römer:

Gal 4,6: „Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft:  Abba, lieber Vater!“

Röm 8,15: „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!“

Wir sehen, ἀββᾶ steht hier immer nur im Zusammenhang mit dem Geist Gottes - entweder er ruft, oder wir durch ihn. Ein respektloser Umgang mit dieser Anrede sollte so eigentlich nicht möglich sein.

 

Im Angesicht des heiligen Gottes (Lev 11,44f;19,2;20,26; 1Petr 1,16 uvm.), der das Universum erschaffen hat (Gen 1,1; Neh 9,6; uvm), um es mit Leben zu füllen (Gen 1,11ff), der dem Menschen Leben gegeben hat (Gen 2,7), der jeden Mensch bis zum kleinsten Atom kennt (Lk 12,7), auch seine Schwächen (Gen 8,21) und ihm aus Liebe einen Weg aus seinem Dilemma bereitete (Joh 3,16), der Herr über Leben und Tod ist (Mk 16,6.9) - wie könnte ein Christ, obwohl Kind Gottes, diesen Gott mit einem Lallwort anbeten, zudem ἀββᾶ wie gesehen ganz sicher kein Lallwort ist und nicht „Daddy“ bedeutet?

James Barr, Journal of Theological Studies, vol. 39 no. 1, (1988), 38. Abba isn’t Daddy

 

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